VERBIO expandiert nach Indien und Nordamerika. Sechs Jahre Vorbereitungszeit liegen hinter uns. Nun können wir die erste Anlage im nordindischen Punjab in Betrieb nehmen und aus Reisstroh Biomethan herstellen. Ein wichtiger Schritt, um das Abfackeln des Strohs auf den Feldern perspektivisch zu stoppen. Damit wird ein Reststoff zum wertvollen Rohstoff und zu sauberer Energie. Gleichzeitig wird auch in den USA – im Bundesstaat Iowa – die erste VERBIO-Anlage angefahren, in der aus überschüssigem Maisstroh zukünftig grüner Kraftstoff gewonnen wird.
Diese Kolumne ist ein Erfahrungsbericht, wie andere Länder dem Klimawandel mit Technologieoffenheit erfolgreich entgegentreten, während wir uns in Deutschland durch politische und regulatorische Fehlentscheidungen immer wieder selbst beschränken.
Zweimal im Jahr brennen die Felder im nordindischen Bundestaat Punjab
2015 habe ich es erstmals mit eigenen Augen gesehen, wie die Landwirte das Reststroh der abgeernteten Reisfelder abfackeln. Die Rauchschwaden ziehen bis nach Neu-Delhi, das ganze fünf Autostunden entfernt ist. Die Luftqualität in der indischen Hauptstadt ist die schlechteste aller Großstädte weltweit. Nirgends ist die Sterblichkeitsrate aufgrund chronischer Atemwegserkrankungen höher. (1)
Die Regierung hat das Abfackeln offiziell verboten, doch das Problem löst sich deshalb noch lange nicht von selbst. Die Bauern in Punjab fahren zwei Ernten im Jahr ein – im April die Weizenernte und im Oktober die Reisernte. Dazwischen liegen neue Aussaat und neues Wachstum. Die Zeit ist knapp – das Verbrennen der Strohabfälle ist bisher der schnellste und billigste Weg, um die überschüssige Biomasse zu beseitigen. Mit unserer Technologie bieten wir eine Lösung, um dieses klimafeindliche und gesundheitsschädliche Vorgehen zu beenden.
Die Technologie haben wir am Standort Schwedt in Deutschland entwickelt. Hier in der Uckermark brennen zwar schon längst nicht mehr die Felder, aber das Stroh bleibt nach der Ernte trotzdem ungenutzt auf dem Acker zurück und verrottet. Dabei entstehen schädliche CO2- und Methanemissionen. Wir nutzen dieses Stroh und produzieren daraus BioCNG, einen klimafreundlichen Kraftstoff, sowie hochwertigen Humusdünger. Unsere Bioraffinerie-Anlagen im brandenburgischen Schwedt und Pinnow sind seit 2014 bzw. 2019 in Betrieb.
Mit unseren im Heimatmarkt gesammelten Erfahrungen wagten wir dann 2015 den Schritt in die weite Welt. Zunächst erschien uns China für eine Expansion interessant aufgrund der großen Landwirtschaftsflächen mit entsprechendem Strohpotenzial. Doch die staatliche Regulierung und die auf nur fünf Jahre begrenzten Maßnahmenpläne der Regierung boten wenig Investitionssicherheit.
Viel attraktiver waren hingegen die Rahmenbedingungen in Indien
Dort ist Reisstroh in gigantischen Mengen vorhanden. Wir sprechen von über 300 Millionen Tonnen jährlich. (2) Das ist zehnmal (!) mehr verwertbares Reststroh als bei uns in Deutschland anfällt. Und der CNG-Antrieb ist in Indien kein Nischenprodukt. Auch darin unterscheidet sich das Land klar von Deutschland. In Indien sind 3,5 Millionen CNG-Fahrzeuge (3) zugelassen. In Neu-Delhi fahren die meisten Tuk-Tuks, Transporter, Taxis und Busse mit CNG und tragen dies durch einen Aufkleber am Heck mit Stolz zur Schau. Doch bislang muss der Großteil des Kraftstoffs in Form von fossilem Erdgas importiert werden. Prognosen zufolge wird sich der Verbrauch bis 2030 auf 200 Millionen Tonnen pro Jahr vervierfachen (4). Trotzdem ist CNG mit Abstand der günstigste Kraftstoff überhaupt, was bei der extrem preissensitiven Bevölkerung eine wichtige Rolle spielt. Darüber hinaus steht die indische Regierung unter Druck, gegen den fortschreitenden Klimawandel und die Gesundheitsgefährdung der Menschen aktiv zu werden. Indien hat in diesem Zusammenhang das riesige Potenzial unserer Technologie erkannt. 2016 haben wir in Punjab eine Tochtergesellschaft gegründet. Als deutscher Unternehmer ging ich davon aus, in puncto Bürokratie schon alles erlebt zu haben. Doch ein Land, in dem mehr als 1,3 Milliarden Menschen leben, wird durch eine Fülle an Gesetzen regiert, die meinem Team einen langen Atem abverlangt haben. Auf der anderen Seite erfahren wir in Indien vom ersten Tag an höchste Wertschätzung für unser technologisches Know-how. Man ist sich sicher: Wenn jemand das Problem der brennenden Felder nachhaltig lösen kann, dann sind es die deutschen Experten. Wir mussten uns deshalb auch nicht allein durch den Bürokratie-Dschungel kämpfen, sondern wurden von Behörden und Beratern unterstützt und navigiert In wenigen Wochen geht unsere erste Stroh-Biomethan-Anlage mit einer Leistung von 20 Megawatt und einer Kapazität zur Verarbeitung von 100.000 Tonnen Reisstroh pro Jahr in Chandigarh in Betrieb. Ab dann wird Stroh zum Wertprodukt: Weniger Luftverschmutzung durch die Verbrennung des Reststoffes. Weniger Abhängigkeit vom Öl- und Gasimport aus dem Ausland. Stattdessen regional produzierte, günstige, erneuerbare Energie, 50 neue Arbeitsplätze in unserer Anlage und unzählige weitere in der angrenzenden Landwirtschaft.
Zusätzlich revolutionieren wir die Stroherfassung
Die Zeit kleiner Strohpressen mit 20 Kilogramm-Ballen, die händisch auf Anhänger geladen werden, ist mit uns endgültig vorbei. Wir importieren modernste Rundballenmaschinen, die 300 Kilogramm schwere Ballen erzeugen, die anschließend auf große CNG-LKW verladen werden.
Der indische Staat hat einen Preis für Biomethan festgelegt und garantiert uns vertraglich dessen Abnahme. Förderprogramme bieten zusätzliche Investitionssicherheit.
Ähnlich ist es in den USA, dem zweiten Expansionsland der Verbio SE außerhalb der EU. Auch hier sehen wir ein ambitioniertes Vorgehen in der Klimaschutzpolitik, während Deutschland sein Image als „Land der Zögerer und Zauderer“ pflegt. Klare, langfristige Zielvorgaben geben der Industrie die Möglichkeit, zu investieren. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat Präsident Biden eine Vielzahl an Förderprogrammen verabschiedet, die zu einer kontinuierlichen CO2-Einsparung führen werden. Allein in Nordamerika gibt es 35 neue Projekte. Die Aufbruchsstimmung in den USA ist geradezu erfrischend im Vergleich zu Deutschland.
Genau in diese Zeit fällt die Inbetriebnahme unserer Stroh-Biomethan-Anlage in Nevada/Iowa. Demnächst werden wir hier 100.000 Tonnen Maisstroh pro Jahr verarbeiten. Im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ steht dieser Rohstoff nahezu unbegrenzt zur Verfügung. Die Herausforderung wird es sein, die Farmer im Mittleren Westen von unserer Kreislaufwirtschaft mit der Humusrückführung zu überzeugen. Wie in Deutschland unterliegen auch in den USA viele Landwirte dem Irrtum, dass der Humusaufbau nur dann gelingt, wenn das Reststroh auf den Feldern verbleibt. Doch wenn das Stroh unkontrolliert auf dem Feld verrottet, entstehen schädliche CO2- und Methanemissionen, die ungehindert in die Atmosphäre gelangen. Es ist unsere wichtige Aufgabe den Farmern klarzumachen, dass unsere Technologie gerade diese ungewollten Emissionen verhindert und gleichzeitig einen hochwertigen Humusdünger erzeugt, der viel einfacher und gezielter für den Erhalt der Bodenqualität eingesetzt werden kann.
Wir haben bisher alle Hürden genommen
Gesetzesdschungel, technologische Herausforderungen, extreme klimatische Bedingungen, interkulturelle Gepflogenheiten, Sprachbarriere und zuletzt Corona. Die Kunst ist es nun, einen stabilen Anlagenbetrieb zu erreichen und Vermarktung, Logistik und Kostenstrukturen effizient zu gestalten. Während der Biomethantransport in den USA nach deutschem Vorbild über das existierende Erdgasleitungsnetz erfolgen kann, stehen wir in Indien vor neuen Herausforderungen. Hier gibt es kein Leitungsnetz, wie wir es in Europa kennen. Stattdessen wird das Biomethan mit Spezialaufliegern per LKW zur Tankstelle befördert oder in kleine Druckgasflaschen abgefüllt, die z. B. in Tuk-Tuks direkt als Kraftstofftank zum Einsatz kommen. Das ist eine neue Herausforderung für uns. Einer dieser Spezial-LKW für den Gastransport fasst 1,5 Tonnen Biomethan. Wir werden pro Tag 33 Tonnen Biomethan herstellen. Das erfordert also logistische Meisterleistungen bei maximaler CO2-Effizienz, die wir natürlich über den Einsatz von CNG-LKW gewährleisten. Hinzu kommt, dass der Kraftstoffpreis in Indien sehr viel niedriger ist als in Deutschland und noch niedriger als in den USA. In diesem Preisrahmen müssen wir kostendeckend und konkurrenzfähig produzieren.
Beide Länder haben hohe Erwartungen an die Technologie und an den Erfolg von VERBIO. Gelingt uns der „proof of concept“, sind beide Anlagen nur der Anfang einer großflächigen Expansionsstrategie in Asien und Nordamerika. Die Wachstumsperspektiven in den USA und Indien sind genauso riesig wie die Rohstoffpotenziale. Genau wie in Deutschland liegt unser Fokus in den USA auf der Dekarbonisierung des gewerblichen Güterverkehrs. Allerdings ist die Dynamik hier eine ganz andere – schon wegen der geografischen Dimensionen: Amazon bestellte erst im Februar auf einen Schlag mehr als 700 CNG-LKW (5), um Pakete künftig nahezu klimaneutral ausliefern zu können.
Im „Land der brennenden Reisfelder“ geht es noch um sehr viel mehr: Hier geht es um Hoffnung. Hoffnung, dass die indische Regierung mit der VERBIO-Technologie das Millionensterben (6) der Menschen an den Folgen der extremen Luftverschmutzung reduzieren kann.Wir setzen alles daran, damit die Hoffnung einer neuen Realität weichen kann.
Und wenn ich mich sonst mit einer kritischen Botschaft verabschiede, ende ich heute mit Applaus, Dank, Anerkennung und höchstem Respekt für unser ganzes Team und besonders für meinen technischen Vorstandskollegen, Prof. Dr. Oliver Lüdtke, der die Projekte in Indien und den USA aufgesetzt und praktisch parallel zur erfolgreichen Umsetzung geführt hat. Das ist eine Meisterleistung! Chapeau, Olli!
Ihr Claus Sauter
Gründer & Vorstandsvorsitzender Verbio SE und BioEnergie-Experte
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2 Kommentare
regards,
debi prasad dolui